Grüne Rheinland-Pfalz verabschieden Antrag zum Teilhabegesetz

Selbstbestimmte und gleiche Teilhabe für Menschen mit Behinderungencropped-rolligrafik513.jpg

Inklusion bedeutet eine Gesellschaft, die sich den Menschen anpasst; eine
Gesellschaft, die so gestaltet wird, dass jeder und jedem Einzelnen
Gleichberechtigung und selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht wird. Für Menschen
mit Behinderungen ist dieses Recht auf selbstbestimmte und gleiche Teilhabe
völkerrechtlich in der UN-Behindertenrechtskonvention seit einem Jahrzehnt
verbrieft. Seither hat sich in Deutschland und insbesondere in Rheinland-Pfalz
einiges bewegt, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.

Wir GRÜNE setzen uns für eine inklusive Gesellschaft ein, in der alle Menschen
miteinander leben, lernen, arbeiten und am Leben in der Gemeinschaft teilhaben
können. Menschen mit Behinderungen haben das Recht, selbstbestimmt,
gleichberechtigt und ohne Diskriminierung aufgrund ihrer oder seiner
Beeinträchtigung zu leben! Der Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile ist
dafür eine Grundvoraussetzung. Daher fordern wir schon lange die Ablösung der
überholten, aus Fürsorge und Sozialhilfe stammenden Eingliederungshilfe durch
ein echtes Bundesteilhabegesetz als modernes Leistungsgesetz.

Doch das geltende Recht der Eingliederungshilfe, das einen großen Teil der
Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen regelt, stammt
größtenteils aus den 1960er und 1970er Jahren. Es enthält Passagen, die nicht
mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar sind. Diese Vorschriften
ermöglichen es der Verwaltung, die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen
einschränken.

Stattdessen braucht es ein Teilhabegesetz, das an der UN-
Behindertenrechtskonvention, an Selbstbestimmung und Inklusion ausgerichtet ist.
Die Unterstützungsleistung muss aus der Sozialhilfe gelöst werden und an den
Bedürfnissen derjenigen orientiert werden, die sie benötigen. Zudem muss der
Bund sich im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung an den Kosten für
die Eingliederungshilfe beteiligen.

Das Bundesteilhabegesetz ist das größte behindertenpolitische Vorhaben seit
langer Zeit und eines der bedeutendsten sozialpolitischen Projekte der jüngsten
deutschen Geschichte. Die Große Koalition hat damit bei Menschen mit
Behinderungen und ihren Verbänden große Hoffnungen und hohe Erwartungen für eine
längst überfällige Weiterentwicklung des Teilhaberechts geweckt.

Doch der Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett am 28. Juni 2016 beschlossen hat,
ist enttäuschend. Er bringt nicht den von Union und SPD angekündigten
Systemwechsel, vielmehr ist die Logik der Sozialhilfe nach wie vor bestimmend.
Insbesondere für Menschen mit hohem Assistenz- und Unterstützungsbedarf sowie
für Menschen mit Lernschwierigkeiten sind sogar Nachteile zu erwarten.

Zudem will der Bund, anders als angekündigt Länder und Kommunen nicht
strukturell und dauerhaft bei den Kosten der Eingliederungshilfe entlasten.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Rheinland-Pfalz fordern die Landesregierung auf, sich
im Bundesrat mit Nachdruck für wesentliche Verbesserungen am Entwurf der
Bundesregierung einzusetzen. Es muss unbedingt gewährleistet sein, dass Art und
Umfang der Leistungen aus der Eingliederungshilfe auf dem Niveau des derzeit
geltenden Rechts erhalten und echte Fortschritte erzielt werden. Ein gutes
Bundesteilhabegesetz muss Inklusion und Selbstbestimmung ermöglichen. Dafür
müssen mindestens folgende Punkte erfüllt sein:

1. Für die Leistungsberechtigung muss gelten: Wer Unterstützung braucht, muss
diese auch bekommen! Der Kreis der Leistungsberechtigten darf nicht
eingeschränkt werden. Auch AusländerInnen ohne Niederlassungserlaubnis oder mit
einem befristeten Aufenthaltstitel und Asylsuchende mit Behinderung müssen ein
Recht auf Eingliederungsleistungen haben.

2. Der Bund muss sich dauerhaft und der tatsächlichen Entwicklung der
Teilhabeleistungen entsprechend für eine dauerhafte Entlastung Länder und
Kommunen an den Kosten der Eingliederungshilfe beteiligen.

3. Menschen mit Behinderung müssen selbst bestimmen können, wo, wie und mit wem
sie leben möchten. Es darf keine Vorschriften geben, mit denen das Wunsch- und
Wahlrecht aus Kostengründen beschnitten werden kann und Menschen mit Behinderung
beispielsweise gegen ihren Willen in Heime eingewiesen werden können oder dort
bleiben müssen. Kosten dürfen – wenn überhaupt – nur dann verglichen werden,
wenn die fraglichen Alternativen den gleichen Gestaltungsgrundsätzen folgen.
Entscheidendes Kriterium muss der Wunsch des leistungsberechtigten Menschen mit
Behinderung sein. Inklusive Leistungen müssen grundsätzlich Vorrang haben.

4. Leistungen der sozialen Teilhabe wie beispielsweise der persönlichen
Assistenz dürfen nur dann gemeinsam für mehrere Personen erbracht werden, wenn
die Leistungsberechtigten das ausdrücklich wünschen. Es darf nicht möglich sein,
einen Menschen mit Behinderung zu zwingen, sich z.B. eine/n AssistenIn mit dem
ebenfalls behinderten Nachbarn zu teilen, weil das kostengünstiger wäre.

5. Leistungen der sozialen Teilhabe dienen dazu, die Benachteiligungen aufgrund
der Behinderung auszugleichen und selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe zu
ermöglichen. Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf diese Leistungen.
Deshalb müssen Leistungen zur Teilhabe erbracht werden, ohne dass Menschen mit
Behinderung dafür mit ihrem eigenen Einkommen und Vermögen aufkommen müssen.

6. Das Budget für Arbeit muss so gestaltet werden, dass Menschen mit
Behinderungen keine Nachteile gegenüber Ihrem bisherigen Status als Beschäftigte
oder Arbeitnehmer_in haben und das in Rheinland-Pfalz erfolgreich entwickelte
„Budget für Arbeit“ weiter Wirkung entfalten kann.

7. Der „Verschiebebahnhof“ zwischen Eingliederungshilfe und Pflegeversicherung
muss beendet werden. Eine Ausweitung der Diskriminierung behinderter Menschen in
der Pflegeversicherung muss unbedingt verhindert werden. Leistungen der
Eingliederungshilfe müssen weiterhin gleichberechtigt neben Pflegeleistungen
stehen.

8. Leistungen zur Teilhabe müssen sich daran orientieren, welche Unterstützung
behinderte Menschen benötigen (Personenzentrierung) – und nicht daran, ob eine
Leistung in Einrichtungen oder außerhalb angeboten wird. Für konsequent
personenzentrierte Leistungen sind bundeseinheitliche Kriterien und klare
Bedarfsbemessungsverfahren unverzichtbar.

9. Die unabhängige Beratung auf Grundlage des Peer Counseling (Beratung von und
für Menschen mit Behinderungen) ist eine große Chance für Selbstbestimmung und
Empowerment. Sie darf nicht durch eine Befristung der Bundesförderung
eingeschränkt werden.

10. Für eine an Inklusion und Selbstbestimmung ausgerichtete Umsetzung der
Teilhabeleistungen brauchen wir eine neue Struktur des Trägers der
Eingliederungshilfe. Die schleichende Kommunalisierung führt zu ungleichen und
ungerechten Lebensverhältnissen für die Menschen mit Behinderungen in unserem
Land. Deshalb brauchen wir eine überregionale Trägerschaft der
Eingliederungshilfe in gemeinsamer Verantwortung von Land und Kommunen – für die
Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz.

11. In einem Landesinklusionsgesetz wollen wir die UN-
Behindertenrechtskonvention in rheinland-pfälzisches Landesrecht umsetzen und
das Bundesteilhabegesetz zusammen mit einer Novellierung des
Landesbehindertengleichstellungsgesetzes landesrechtlich umsetzen.

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